Mittwoch, 11. Mai 2011

brumm brumm

Die Mopedjungs haben sich zwei Tage bis zur Fertigstellung ausbedungen. Ich schaue mir derweil die große Moschee an und das Red Fort. Beides schön groß, recht nett, heiß und mehr oder weniger dreckig und verfallen. Der Marmorthron im Red Fort ist sehr bezauberndes Mughalrokkoko mit seinen Halbedelsteineinlegearbeiten, Blümchen und Vögelchen im weißen Stein. Leider hinter einem dreckigen Netz versteckt, damit die Tauben nicht draufkacken. Die Vögel sind hier offensichtlich genauso rücksichtslos wie die Zweibeiner. Eine Straße entlangzulaufen erinnert an alte Asteroidsspiele, ständig schießt irgendwer auf dich zu und versucht, direkt durch dich durch zu laufen, zu fahren oder große Lasten hindurchzuschieben. In einer Schlange, z.B.an den U-Bahnticketschaltern wird rücksichtslos gedrängelt, gehts vorne nicht schnell genug schiebt man halt dem Demjenigen vor sich ins Kreuz. Mein Größenvorteil hilft, fahre ich die Ellbogen aus, sind sie auf Nasenhöhe  des ungeduldigen Giftzwergs. Natürlich ist das Ganze so organisiert, dass sich diejenigen mit Ticket durch die andrängende Masse derjenigen zwängen müssen, die eines haben wollen. Da hilft nur Zwergewerfen.
Leider gehaben sie sich im Straßenverkehr genauso. Meine erste Fahrstunde um mich auf die Enfield einzustellen hätte ich denn nicht unbedingt in Delhi haben wollen. Geht aber nicht anders. Im Großen und Ganzen ist die Mühle wirklich okay, nur die Gänge haken fürchterlich und die Kupplung kommt auf dem letzten Zentimeter. Ja, das müsste so, meint der Fachverkäufer. Gemeiner die prinzipbedingten Umstellungen, die Fußbremse ist links, die Schaltung rechts. Wenn ich bremsen will, schalte ich erstmal einen Gang hoch. Denn das geht so: erster Gang hoch, dann zweiter, dritter und vierter nach unten. Auch genau umgekehrt. Die Handbremse ist vernachlässigbar. Außerdem haben sie die Mühle so knapp eingestellt, dass sie gerne einmal ausgeht. Blöd in einem Stau voller drängelnder Maniaks, wenn man die Kiste erstmal wieder antreten muss. Richtig blöd, wenn man gerade vor heransausenden Autos eine Straße queren wollte und nun gemütlich auf sie kullert, denn die Handbremse, an der man panisch zieht, tuts ja nicht.
Ich wurschtele mich am Morgen ostwärts aus Delhi heraus. Mit wärmer werdender Mühle wird das Schaltungsproblem immer unangenehmer, hochschalten geht nur mit Gewalt, runter mit Zwischengas. Irgendwann halte ich an, um mir die Sache anzuschauen. "Das muss so" - am Arsch! Der Spezialist, der an der Kupplung hoffentlich, wie versprochen, die Scheiben gewechselt hat, hat den Zug einfach nur eingehängt. Dass man den auch einstellen muss, interessierte nicht. Nach ein paar Schraubendrehungen flutscht die Sache schon ganz anders.
Ich folge der legendären Great Trunk Road, der Straße die seit Jahrhunderten Indiens Schlagader im Norden ist und von Bangladesh bis Afghanistan reicht. Entsprechend gibt es viele Lkws und vor denen muss man sich wirklich in Acht nehmen. Es gilt das Recht des Stärkeren. Mit Sechzig bis Siebzig Stundenkilometern ist die Enfield ganz glücklich und das ist auch ungefähr das Tempo, mit dem die meisten hier unterwegs sind. Da erspart man sich nervenaufreibende Überholmanöver. Die Straße ist schön breit, zwei Spuren für jede Richtung. Allerdings gibt es jede Menge langsamere Fuhrwerke, Fahrräder, Rikschas, Lastenkarren und was weiss ich. Die trödeln seelenruhig quer durch den Verkehr. Oft kommt einem auch ein großer Lkws als Geisterfahrer entgegen, dann meistens auf der eigenen rechten schnelleren Spur. Sei es, weil der Fahrer ein Ziel auf dieser Seite erreichen will oder einfach weil er glaubt, so bessr voranzukommen. Einige Male sehe ich Wracks die frontal zusammengestoßen sind, da konnte man sich wohl nicht einigen, wer stärker ist. Sie bleiben einfach mitten auf der Straße stehen, einige Backsteine drumherum gelegt, verbreitern das Hindernis. Hat ein Wagen eine Panne, wird mitten im Verkehr repariert. Großartig auch ein Trecker mit einem Platten vorne, sie hatten das Rad seitlich drangebunden und fuhren nun auf drei Rädern. Schneiden, Ausbremsen und zentimeterscharfes aneinander Vorbeisausen sind normale indische Fahrmanöver, will man drehen oder abbiegen, dann tut man das. Soll der restliche Verkehr doch sehen, wie er drumherum kommt. Kaum ein Inder hat einen Führerschein, wozu auch, wenn es keine Verkehrsregeln gibt.
Die Navigation hat ihre eigenen Tücken, Hinweisschilder werden schon einmal hinter der Abzweigung für die sie gelten, aufgestellt. Da musst du erstmal drauf kommen. Wenn sie in Hindi sind, habe ich eh nichts davon. Entsprechend verfahre ich mich einmal, mache einen längeren Abstecher durch Dörfer mit rettungslos verstopfter Ortsdurchfahrt und infernalischem Gehupe. Die Landschaft ist brettflach, ausgedörrt. Die Hitze ist durch den Fahrtwind erträglich, aber ich trinke an diesem Tag bestimmt sechs Liter ohne einmal Pipi zu müssen. Es gibt viele Wasserbüffel und der Hauptindustriezweig ist das Brennen von Backsteinen. Befeuert werden die schwarz qualmenden Schornsteine mit Kuhscheiße, die zum Trocknen zu großen Kegeln und kleinen Häuschen geschichtet wird.
Inklusive Umweg ist die Tour gut dreihundert Kilometer lang, ich bin von morgens acht bis abends um sechs unterwegs, bis ich in Ramnagar am Corbett Nationalpark ankomme. Entsprechend fertig bin ich, falle früh ins Bett. Um Vier Uhr dreißig muss ich wieder aufstehen, um eines der Eintrittstickets zu ergattern. Ich will erst Nachmittags in den Park, aber da nur eine bestimmte Anzahl Vehikel in den Park gelassen werden und alle zu der Stelle mit den Tigern wollen, bringt mich der Guide morgens zum Nationalparksoffice zum Schlangestehen. Es wird ein vergnügliches Stündchen mit lauter Indern, die drängeln, sich gegenseitig vorlassen, mit Freunden ihren Platz weiter vorne in der Schlange tauschen und plötzlich beide vorne sind. Einige haben Platzhalter bezahlt, kommen spät und nehmen deren Plätze vorne ein, andere kommen spät und drängeln einfach so vorne rein. Dazu die Guides, die ständig an der Schlange entlangpatroullieren, versuchen, ihren Kandidaten nach vorne zu bringen und zählen, ob es für eines der begehrten Tickets reicht. Ein Engländer steht hinter mir und irgendwann platzt ihm ob dieses würdelosen Verhaltens die Hutschnur, erst beschwert er sich lautstark bei dem Wärter, der eigentlich für Ordnung sorgen sollte und als der ihn nur dämlich angrinst, marschiert er ganz nach vorne und meint, "Was ihr könnt, das kann ich auch!" Keiner traut sich, ihn zu hauen.
Irgendwann habe ich mein Ticket, bezahle für Eintritt, Ausländer zahlen das dreifache von Indern, Eintritt für den Jeep und den Guide, dazu kommt die Jeepmiete. Ein teurer Spaß. Wirklich genützt hat diese morgendliche Veranstaltung den Moskitos, die sich zwei Stunden an uns sattgefressen haben. Ich kehre zurück ins Hotel und verschlafe den Vormittag.
Tiger bleiben mir weiterhin verwehrt, drei Stunden wildes Geschaukel, viel Staub, viel Deer, Elefanten, erst ältere Bullen aus der Entfernung, dann eine Mutter mit zwei Kälbern ganz nah. Tigerspuren immerhin, zerkratzte Bäume, ansonsten eine Kobra, erstaunlich, wie die Guides die im Gestrüpp gefunden haben.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

... Das Red Fort kommt mir auch noch bekannt vor, ich weilte 1992 5 Wochen in Indien, leider nur mit Bussen unterwegs, aber auch das ist ein Abenteuer erster Güte!
AUßerdem kann ich vermelden, dass auch im Sariska Naturschutzpark keine Tiger zu sehen gab, wildes Schaukeln im Jeep scheint wohl inklusive zu sein :-) Und wir haben im Hotel übernachtet, in dem auch mal Ghandi übernachtete - er hatte orangefarbenen Teppich ...
Jaisalmer ist einen Besuch wert, und auch Shimla, mal was ganz anderes!
Viele Grüße aus dem sommerlichen Wiesbaden/Deutschland - Judith