Mittwoch, 6. April 2011
Zentral Sulawesi
Heute Nachmittag bleibe ich einfach sitzen und warte, bis mich meine Seele wieder einholt. Keine Ahnung mehr, von welchen Völkern die Vorstellung kommt, dass man auf sie warten muss, wenn man zuviel unterwegs war, aber meine ist mir auf dem Weg zum Danau Poso rausgeschüttelt worden. Vorgestern morgen um Neun ging es in Bira Beach los. Abschied vom Haus auf dem Hügel, dem netten Personal, dem Billardtisch und dem Meer. Ein Bemo schaukelt mich den Küstenweg zurück nach Makassar. Wir irren am Ende etwas durch die Stadt bis er mich bei Inge abliefert. Dort ein schnelles Essen, eigentlich wollte ich um Eins dort sein, es ist Vier geworden. Sie hat ein Auto organisiert. Airkonditioniert auf einundzwanzig Grad, brrr ist das kalt bei 34 Grad Außentemperatur, fahren wir ein Busticket besorgen. Zurückgekommen bleibt etwas Zeit für ein Mandi, ein Bad, ein Telefonat nach Hause und um einige Freunde zu treffen. Dann muss ich schon zum Busbahnhof. Sechzehn Stunden sind veranschlagt für die Fahrt nach Pendolo am Südende des Poso-Sees. Um Zwanzig Uhr geht es los. Durch den Stadtverkehr steuern wir einen Busbahnhof an und hier stopt uns die erste Panne. Der Vorderreifen ist platt. Ein kleines Malheur, handgestoppte 19 Minuten später ist der Reifen gewechselt. Der Busfahrer hielt es nicht einmal für nötig, währenddessen den Motor abzustellen.
Im beginnenden Regen geht es weiter, die Straße hat besonders im ersten Teil sehr unter der Regenzeit gelitten und wird immer wieder von Schlaglochkratern unterbrochen. Der Busfahrer entpuppt sich als bedenkenloser Mörder. Ich bin einiges gewöhnt an asiatischem Fahrstil, aber mit dem Bruder kriege ich Angst. Und selbst die indonesische Mutti, die hinter ihm sitzt, wird ihm zum Beginn seiner zweiten Schicht versichern, dass sie ihm die Ohren langzieht, wenn er wieder so übel fährt. Mopedfahrer werden gnadenlos zur Seite gehupt, vor Kuppen und Kurven überholt, ist die Straße vierspurig, mit jeweils zwei Spuren für jede Richtung, benutzt er die erste Gegenspur um zwei Wagen gleichzeitig zu überholen. Soll sich doch der Gegenverkehr auf eine Spur zusammenfalten. Verlangsamt ein anderer Bus oder Lkw vor einer Schlaglochpassage zieht unser indonesischer Walter Röhrl ganz nach links (also außen, Linksverkehr hier), knallt den Bus mitten rein ins Schlagloch und versucht sich zum Überholen schneller wieder herauszuarbeiten. Ich habe mir den Sitz vorne links ausgesucht um Platz für die Beine zu haben und habe eine prima Sicht auf die Straße und seine Fahrkunst. Irgendwann nachts auf den geschwungenen Bergstraßen des Torajalands bewundere ich sogar seinen Fahrstil, wie er den Bus in einer Geschwindigkeit durch die Kurven zirkelt, die ich mir kaum mit einem Pkw zutrauen würde. Wahrscheinlich so eine Art Helsinkisyndrom, wenn sich Geiseln mit ihren Entführern solidarisieren.
Auch permanente Nahtoderfahrungen werden irgendwann langweilig und so schlafe ich ein. Gegen Drei werde ich wach, der Bus steht. Auf der rechten Seite wird gehämmert, gefühlsmäßig würde ich auf die Bremsen tippen, bin aber zu müde, um nachzuschauen. Tatsächlich macht der Fahrer als es weiter geht, einige Bremstests, wirklich in Ordnung scheint die Angelegenheit nicht zu sein. So machen wir morgens gegen Sieben einen längeren Stop. Jetzt basteln die Jungs gründlicher. Die Bremsbeläge rechts hinten sind zerbröselt. Auf der Straße werden die Niete einzeln rausgehämmert, dann die neuen Beläge montiert. Ist alles einfache Technik, die mit ein paar herzlichen Hammerschlägen zu reparieren ist. Diese Pause bringt uns gut drei Stunden Fahrzeit mehr. Später soll noch ein Stau in der Mittagshitze dazukommen, weil eine Brücke einspurig zu befahren ist und selbst die Polizei nicht regeln kann, wer nun fährt. Die letzten vier Stunden gehen durch Bergland, Dschungel, einzelne Rodungen, Häuser direkt neben der Straße an den Hang geklebt. Allerdings ist kaum ein Baum dicker als ein Telegrafenmast. Gegen Abend nach insgesamt gut 32 Stunden unterwegs kommen wir in ein gottverlassenes Nest an dessen Ende Wasser zu sehen ist. Das ist Pendolo.
Laut Loneley Planet soll man von hier aus mit einem Boot über den See nach Tentena am Nordende fahren können. Es dauert nicht lange, um herauszufinden, dass aus diesem schönen Plan nichts wird, das Boot ist schon lange eingestellt. Überhaupt hat sich der Tourismus komplett aus dieser Gegend verabschiedet, ich bin die einzige Langnase weit und breit. Zu den Bomben von Bali gab es vor sechs Jahren in dieser Gegend Unruhen, bei denen sich Muslime und Christen massakrierten. Schon im Torajaland ist fast die gesamte Guide- und sonstige Tourismusindustrie zusammengebrochen und weiter nördlich scheint niemand mehr hin zu wollen.
Ich quartiere mich in einem kleinen Wisma direkt am See für einen Spottpreis ein. Meine Nachbarinnen und Nachbarn sind junge Indonesier, die sich abends in Businessklamotten werfen, um an irgendeiner Versammlung teilzunehmen. Ganz habe ich nicht verstanden, was sie arbeiten, "irgendwas mit Kommunikation". Morgens kaufen sie vom vorbei kommenden Fischhändler ein paar Fische für schmales Geld. Obwohl aus Jakarta reisen sie für Arbeit querbeet durch Indonesien.
Der Herbergsvater fährt mich abends im wieder einsetzenden Regen zu einem Restaurant. Es ist leer, neonbeleuchtet und es gibt Ayam goreng, ein Stück geratenes Huhn und Reis. Er verspricht, mich wieder abzuholen und verschwindet. Nachdem drei Knaben mir die üblichen woher-wohin Fragen gestellt haben, fahren sie und ich hocke alleine in der großen Bude, fühle mich einsam und verfluche mich, dass ich das nette Haus auf dem Hügel verlassen habe. Der Kerl kommt nicht mehr und ich wandere in Dunkelheit und Regen zurück zur Unterkunft. Am nächsten Tag wird er den Kids erzählen, dass ich alles jalan-jalan bin, wo doch Indonesier ab 20 Meter den Motorroller nehmen.
Morgens um halb sieben bin ich wach. Ein kleiner Spaziergang am See. Der ist groß, vollkommen leer, kaum mal ein Fischerboot ist zu sehen, bewaldete Hügel an den Ufern, das andere Ende nicht mehr zu erkennen. Viele verfallende Gebäude, die übrigen Häuser verstreut.
Ich packe meine Sachen, wandere zum Polizeipunkt an der Hauptstraße. Es wird wohl schwierig wegzukommen. Die Busse von Makassar kommen hier erst Abends durch, Bemos gibt es kaum. Ein Einziges hält, ist komplett voll. Verdammter Loneley Planet, Bootstour am Arsch!
Aber seit einiger Zeit habe ich mein Glück wieder, vielleicht seit der Zeremonie mit dem Priester auf Bali. Glück heisst, klappt eines nicht, ergibt sich etwas Anderes, womöglich Besseres. In Bira arbeitete der deutsche Tauchlehrer nicht mehr mit Anda Bungalows wo ich ihn suchte, aber als ich nachmittags ewig durch die Gegend wanderte um einen entfernten Strand zu finden, stand ich plötzlich vor der Haustür seiner neuen Tauchbasis.
Hier hockte ich also am Polizeiposten und nach einiger Zeit taucht ein Minibus auf. Es hat sich herumgesprochen, dass da ein Tourist sei. Der Polizist handelt einen vernünftigen Preis aus und los geht es. Aber nicht auf der östlichen Hauptstraße sondern westlich des Sees über eine Ministraße durch eine wunderschöne Landschaft mit Reisfeldern, entlang des Dschungels am Berghang mit tollen Ausblicken auf Buchten und den See.
Die kleinen Dörfer haben alle eine Kirche, nur zweimal gibt es balinesische Tempelchen. Ein Transmigrasiprojekt, das Umsiedlungsprogramm der Regierung, das Leute von den am dichtesten bevölkerten Inseln versetzt. Drei, vier Stunden geht es am See entlang, die Mitfahrer, die wir unterwegs einsammelten, plappern und lachen. Dann sind wir in Tentena, ein genauso verschlafenes Nest, etwas größer vielleicht. Es ist heiß, ich finde ein Hotel mit einem Balkon auf den See hinaus, der hier seinen Abfluss hat. In einem kleinen Warung esse ich Mittag, Aal unter anderem, der hier in großen Reusen quer über den Fluss gefangen wird. Jetzt brauen sich Gewitter über den umliegenden Bergen zusammen. Heute Abend wird es wieder regnen.
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