Sonntag, 12. Juni 2011

Hippie Club Med: Dharamsala

Darf ich dir aus der Hand lesen mein Freund, die Chakren öffnen, die Energieströme regulieren; welcher Reiki-Richtung folgst du und wie war die morgendliche Yogastunde? Darf ich dir einen Kurs in ganzheitlichem Flamenco anbieten, möchtest du dein inneres Selbst im Bauchtanz erkunden, mit Ayuvedaöl herumpanschen oder einfach nur bunte Bändchen knüppern? Osho ist gegenwärtig, die Heilung aller Gebrechen durch Powermeditation ist nah, Yoga wird in jeder gewünschten Geschmacksrichtung angeboten. Oder man wirbelt stundenlang zwei Strippen herum um als Dekoration für Goaparties zu dienen. Wenn man die Dinger anzündet, erntet man Ahs und Ohs und kann sich damit die Dreadlocks vom Kopf sengen.
Wollte man alle hier angebotenen Kurse studieren, wäre man alt und hätte ein Vermögen versemmelt. Natürlich gibt es ein jüdisches Zentrum wohin einige Orthodoxe die versammelte, aber meist zu verkommene, israelische Jugend einladen. Dafür finden sich auf der Speisekarte sämtliche originalen Spezialitäten Israels, Shnitzel zum Beispiel, man lässt vom guten deutschen Fernfahrermenü das C weg und gibt dafür Humus dazu. Roy ernährt sich im Prinzip von nichts anderem. Wir haben uns gut verstanden, waren wir doch die beiden unesoterischten Gestalten in diesem Hippiehangout, verspotteten unsere Freunde, wenn sie von der Wirbel- oder Knüpperstunde kamen und verquatschten die Zeit während sich Sonne und Regenschauer abwechselten.
Dieser Hippiefreizeitpark findet in Bagsu statt, einem Tal kurz hinter Mc Leod Ganj, das vor vierzehn Jahren grün und einsam war, nun im unteren Teil mit dicken Hotels für Inder verschandelt ist, während sich weiter hinauf Travellerunterkunft an Hippierestaurant reiht. Man findet schon die wenigen Einheimischen sympathisch, die nicht clever genug sind, ihren Ziegenstall in Buddhabar umzubenennen und mit ein paar Tüchern und Kissen zum Kifferparadies zu dekorieren.
Nach der Zeit im echten Indien, die doch zuweilen recht rauh ist, genieße ich den Aufenthalt in diesem weichgespülten Touristenparadies. Die Bedienung ist freundlich, das Essen gut, das Zimmer neu, sauber und bezahlbar. Natürlich kann ich den Kursangeboten nicht ganz widerstehen, versuche mich einen Tag als Silberschmied und übe Flöte. Letzteres eine ziemliche Herausforderung, nicht nur ob meiner zementierten Unmusikalität, sondern weil der sechslöcherige Bambusstengel erstaunliche Möglichkeiten bietet, die man aber erst einmal unter Kontrolle bekommen muss.
Wandern kann man auf Ziegenpfaden an den steilen Hängen. Es gibt hier einen Bären, vor ein paar Tagen hat er eine Frau angegriffen, gerne verwüstet er auch die Felder. Leider habe ich ihn nicht finden können um mich mit ihm über die Ausbreitung der Touristenindustrie zu unterhalten.
Das Motorrad bekommt eine Rundumüberholung, dabei erweist sich in vollem Umfang, was für ein verlogener Mistkerl der Verkäufer in Delhi ist, der alles unter der Oberfläche als neu und renoviert versprach, was sich nun als alt und marode herausstellt. Nun, Motorrad fahren ist die schönste Art, Indien zu bereisen, die billigste sicherlich nicht.
Der Dalai Lama ist derzeit anwesend und hält einen Vortrag in einer großen Klosteranlage. In die Halle, in der er spricht, kommt man nicht mehr hinein, aber draußen gibt es Videoübertragungen und per Radio kann man eine englische Simultanübersetzung empfangen. Während die meisten Touristen nur auf ein Foto lauern während  dieser buddhistische Papst vorbeikommt, lohnt es sich, dem Vortrag zuzuhören. Tibeter haben durchaus Spaß an verzwickter Theologie. Am beeindruckendsten ist die tiefe Verehrung, mit der ihm die Tibeter begegnen.
Einen Ausflug mit dem Motorrad habe ich gemacht, ein halb verfallenes Fort gab es zu besichtigen. Während Inder fünf Rupien Eintritt zahlen werden von Ausländern hundert aufgerufen. Das wäre doch einmal ein Modell für die berliner Museen: Deutsche fünf Euro, alle anderen hundert. Ich habe gegen diese offensichtliche Ausländerdiskriminierung rebelliert und mir so erspart, in der Mittagshitze über den Steinhügel zu klettern.

In den letzten beiden Tagen bin ich nach Delhi gefahren, um Terry in Empfang zu nehmen, die zwischen zwei Projekten zu Besuch kommt. Zwischenstop in Chandigarh, von Le Corbusier entworfener Musterstadt im Quadratraster. Gottes Werk und Teufes Beitrag gibt es schon als Titel eines von mir nicht geschätzten Schriftstellers, trifft hier aber besonders schön zu: während das Raster eigentlich für einfache Orientierung sorgt, ist die Beschriftung indisch, fehlerhaft und unklar und so irrt man am Anfang etwas herum in diesem Labyrinth aus Sektorennummern. Dazu liegt an jeder Kreuzung ein großer Kreisverkehr und Kreisverkehr mit Indern ist eine besondere Form des russischen Roulettes. Das Gerichtsgebäude, auch von Corbu, in Sektor eins gelegen, ist dagegen eine ausgesprochene architektonische Freude. Ein überaus würdevoller und eleganter Sikh überreicht mir seine Karte, er ist Menschenrechtsanwalt und sollte ich jemals meine Menschenrechte in Indien verletzt sehen, möge ich mich doch bitte an ihn wenden.
Schaun wir mal.

1 Kommentar:

Vietnam ? Vietnam ! hat gesagt…

was für ein schöner blog, wundervoll geschrieben, den ich nun schon seit ein paar wochen, von ostafrika aus, still mitlese.
vor genau einem jahr habe ich fast dieselbe route wie du hinter mich gebracht, allerdings in zügen und bussen um nach 4 Monaten indien, ja, rauh ist es und ich habe dieses land, seine leute und seinen dreck nicht wirklich gemocht, zu gross war der kulturschock nach 3 Jahren südostasien nur noch in goa herumgehangen, und drei kreuze gemacht, als die condor mich für nen appel und nen ei ausgeflogen hat. wie geht es denn nach indien weiter, verehrter author, afrika, vielleicht? ich kann ostafrika, vor allem kenia mit seinen warmherzigen menschen empfehlen, die air arabia fliegt billig von indischen städten nach nairobi und entebbe.
ich würde mich ggf. auf ein treffen freuen und btw, hast du neben gottes werk und teufels beitrag (hab ich auch nicht fertig gelesen)den garp von irving gelesen, oder den owen meany? viel Spass noch auf der enfield, sie wird halten,robust wie sie gebaut ist.
Mit emphatischen grüssen aus dar es salaam.robert
(mazungo)
mazungo@web.de
blog: Africa? Africa!