Montag, 16. Mai 2011

Was für ein Tag. Pünktlich um Acht bin ich beim Motorcycle Mechanic, ein alter Mann, der würdig aussähe, würden nicht sämtliche Schneidezähne fehlen. Er lässt mich gegenüber der Werkstatt parken, greift fachkundig in die Speichen und wiegt das Haupt. Dann kassiert er hundert Rupien Vorschuss, schwingt sich auf seinen Roller und verschwindet. Mir zur Unterhaltung bleibt ein Kollege, der eine halbe Stunde versucht, einen Synchronring auf ein zerlegtes Getriebe zu prügeln, der da nicht hinpasst. Insgesamt macht es den Eindruck, dass Einschmelzen die vernünftigste Lösung ist, so kariös sind die diversen Zahnräder. Es wird aber später wieder in einen Jeep eingebaut.
Der Meister kommt zurück mit nichts in den Händen, sitzt ein Weilchen, geht dann Chai holen. Ob er die Parts hätte, wie gestern versprochen? "Parts, hrrr, Parts, harrr, Parts!" Er klingt wie Animal aus der Muppetsshow, Englisch kann er nicht. Dann fummelt er etwas unmotiviert die gebrochene Speiche aus der Felge, deutet auf seinen Roller, wir sollen fahren. Er wendet, popp ist die Kiste aus, Kupplungszug gerissen, wie er mir zeigt, indem er den Draht rauszieht. Wieder verschwindet er, kommt mit Schlüsseln zurück, zieht eine Plane von einem anderen Roller und los gehts. Ich habe gestern schon alle Teilehändler und Werkstätten versucht und tatsächlich fahren wir zu alten Bekannten. Die erklären ihm, wie mir gestern, dass es keine Speichen gibt. Der Alte lässt sich nicht abwimmeln, meint, sie sollten im Nebenladen unten in einer bestimmten Schublade gucken und tatsächlich kommt ein Sammelsurium an Speichen zum Vorschein, er vergleicht und fischt drei passende Enfieldspeichen heraus, zahlt zwanzig Rupies dafür. Mein Respekt steigt.
Zurück wird das Bike auf zwei Steinen aufgebockt, das Hinterrad ausgebaut, Kugellager und Kleinteile fliegen erstmal in den Dreck. Daneben frisst eine Kuh Abfall. Das Hinterrad kommt zu den Reifenwallahs nebenan, die sollen den Reifen abziehen. Er widmet sich dem Motorrad, die Kette wäre zu lang, leider hat er keinen Ersatz, also wird sie aufs Äußerste gespannt, na geht doch. Er findet diverse lose oder fehlende Schrauben, ersetzt sie. Dann nimmt er sich die Felge vor, eine Speiche muss zunächst krummgebogen werden zum Reinfädeln, dann wird sie mit der Kombizange wieder geradegezogen. Eine dritte morsche Speiche trennt er durch und ersetzt sie auch. Richten tut er das Ganze auf der Hinterachse. Er findet einige vorstehende Speichen, verspricht sie abzufeilen. Ich gehe inzwischen frühstücken. Dort setzt sich ein junger Mann mit einem lockeren Schräubchen zu mir, quatscht die ganze Zeit auf Hindi und hat komische Gesichtszuckungen. Das Essen ist ein trockenes Omelett mit Pickles. Überhaupt finde ich das indische Essen nicht so großartig, meistens braunes oder grünes Breichen, dazu Brot oder Reis, viel Teigzeug. Naja, allerdings habe ich alle Hemmungen bezüglich Hygienen abgelegt, futtere jeden und in jedem Dreck, trinke sogar das Wasser, das in Kannen auf dem Tisch steht. 
Zurück zum Moped, der Reifen ist auf der Felge, wird wieder eingebaut. Dabei zählt er sorgfältig die Zähne der Einstellscheiben, damit das Rad gerade läuft. Der Mann versteht sein Geschäft wirklich. Dann macht er eine Probefahrt. Mit der Kupplung ist er nicht ganz einverstanden, stellt sie noch etwas nach. Das schwammige Lenkkopflager ist ihm nicht entgangen, das wird festgezurrt. Der Schmiernippel am Getriebe kriegt großzügig Fett. Ölwechsel könnte auch noch, es ist auch tatsächlich kaum noch welches drin.
Dann strahlt er mich an, macht Muppetsgeräusche, alles fertig. Das Öl kostet mich vierhundertfünfzig Rupien, die Arbeit dreihundert, circa vier Euro fünfzig.
Es ist Mittag, als ich loskomme. Ich möchte gerne bis zum so wunderschönen Valley of Flowers, auch wenn dort jetzt wenig blüht, soll die Aussicht toll sein. Es ist ziemlich warm, die Straße wird bald mies. Die Abschnitte, die von Erdrutschen ruiniert sind, sind fast größer als die geteerten Teile. Und dort staubt es elendig von Bussen und Jeeps. Dafür ist die Aussicht großartig, das Tal wird immer enger zur Schlucht, Nebentäler mit spektakulären Wildbächen, Serpentinen an den Hang geklebt, überhängende Felsen, Abgründe - eine tolle, wenn auch mühsame, Fahrt. Es wird immer gebirgiger bis ich endlich nach Ghangata komme, einem kleine Kaff, Ausgangspunkt für die Wanderung zum Valley. Nur, hier ist nix los, außer Bauarbeiten, ich winde mich durch enge Gäßchen bis zu einem Sikh-Ashram aus dem würdige Turbanträger strömen, mich anstarren, aber nicht mit mir reden wollen. Endlich kann jemand Englisch, ja das Valley wäre noch gesperrt bis zum ersten Juni.
Was tun? Weiter hinauf liegt Badrinath, Pilgerzentrum, denn der Tempel hier ist einer der vier, die die Quellen der heiligen Flüsse markieren. Also los. Jetzt wird es deutlich hochgebirgig, steile Felswände mit ewig hohen Wasserfällen, noch höher sieht man schneebedeckte Berge, die Straße ist nur noch Piste, oft von Schmelzwasserbächen überspült. Da muss man durch und bekommt nasse Füße. Die ersten Schneefelder liegen auch bald unter mir. Die Fahrerei erfordert so viel Aufmerksamkeit, dass mir nicht mal kalt wird, obwohl ich nur Hemd und Jeansjacke trage. Das ist wei bei den Saddhus, heiligen Männern in orangen Gewändern und mit wilden Haaren, die zahlreich die Straße hinaufziehen. Die lernen auch nicht zu frieren. Einer marschiert sogar völlig nackt. Eine Frau mit einem Bündel auf dem Kopf folgt ihm, ist das dann eine Saddhine?
Die letzten Kilometer ziehen sich, eine paar Regentropfen kommen runter, ich sollte jetzt auf gut dreitausend Meter sein. Endlich wird es flacher, die Schlucht weitet sich zum Tal und es wimmelt von Pilgern. Mühsam finde ich eine Unterkunft, nur eine Dreibettzimmer gibt es und das zu gesalzenen Pilgerpreisen. 
Ich spaziere zum heiligen Tempel, was für ein Betrieb, die Straße dorthin auf der einen Seite gesäumt von Pilgersouvenierläden, auf der anderen von Bettlern. Der Tempel selbst ist kritzebunt, eine lange Schlange wartet auf Einlass. Ich wandere durch die Gassen und das Gewimmel, fotografiere viel. Buntes Indien at it´s best. Bei Dunkelwerden wird der Tempel illuminiert, er sieht jetzt wie ein Glückspielpalast aus.

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