Montag, 23. Mai 2011

Staub

Ein paar Tage ging nichts mit Tippen: Das Netzteil des Laptops hat vor dem giftigen Strom, den einige Hilfsgeneratoren hier bei Stromausfall erzeugen, die Segel gestrichen. Auch sonst lief in der Zwischenzeit nicht alles nach Plan, wie auch, ist ja Indien. Die Tour von Rishikesh nach Mussoorie war insofern bemerkenswert, als es auch mal geradeaus ging, das bin ich gar nicht mehr gewohnt. Ein Stück führt die Straße durch die Ebene bis sie recht unvermittelt auf den ersten Bergkamm und damit auf rund zweitausend Meter klettert. Ein schöne Aussicht hat man von dort wenn es nicht zu dunstig ist. Die kam am Morgen, nachdem es heftig geregnet hatte. Man konnte auf der einen Seite den Ganges sehen, auf der anderen frisch verschneite Berggipfel in der Ferne. Der Regenguss liess mich die Ausrüstung aufstocken, eine Gummihose, Handschuhe und einen Schal. Die nächsten Monate werden in kühlere Gefilde führen. Entsprechend habe ich mir einen veritablen Schnupfen zugelegt. Nicht schön, da es hier keine Taschentücher, sondern nur die dünnen Papierservietten gibt, die sofort explodieren.
Von Mussoorie geht es zunächst in Serpentinen wieder hinunter in ein wildes Flusstal. Von dort habe ich mir eine schöne Strecke auf der Karte ausgeguckt, die mich direkt nach Norden durch einsames Bergland bringen sollte. Nach einem längeren Verhauer, der mir dank GPS im indischen Handy klar wurde, finde ich diese Straße. Ein wenig abenteuerlich mutet sie schon an; bei uns wäre es eher ein geteerter Feldweg, der sich Berghang um Berghang hinaufwindet. Die Fahrt, jetzt wieder in strahlendem Sonnenschein ist wunderschön. Die terrassierten Felder an den umliegenden Hängen faszinieren mich immer wieder; wo es nicht gerade senkrecht hinunter geht, wird dort noch Gerste angebaut. Neben und über mir segelen im Hangaufwind Geier und Falken während ich mich der Baumgrenze nähre. In kleinen Siedlungen werde ich misstrauisch beäugt, wenn ich jedoch nach meinem nächsten Ziel frage, wird mir der richtige Weg gezeigt. Wenn niemand in der Nähe ist, muss ich an Abzweigen raten, sieht der Bodenbelag deutlich neuer oder oller aus als die bisherige Straße, nehme ich ihn nicht. So erklettere ich einen weiteren der parallel verlaufenden, hier jeweils um zweieinhalbtausend Meter hohen, Vorhimalayakämme. In einem Dorf, in dem ich Wasser und Kekse kaufe, erklärt man mir, dass ich nicht mehr weit kommen werde, militärisches Sperrgebiet. Tatsächlich, fünf Kilometer weiter werde ich durchaus freundlich von einem uniformierten Posten aufgehalten. Ich soll anhalten, er spricht in ein kleines Feldtelefon. Rundherum liegen flache typische Armeegebäude. Die Männer, wie auch die Wache, die hier herumsitzen oder Karom spielen, sind deutlich sino-tibetischen Schlags. Sie sind nett und einladend, man macht mir zunächst Hoffnung, dass sie nur meinen Pass kontrollieren und dann dürfte ich weiter. Leider sieht das der Kommandierende am anderen Ende der Telefonleitung, der sich alle halbe Stunde wieder meldet, letztlich anders: ich darf nicht weiter.
Es ist Nachmittag geworden, hinunter schaffe ich es nicht mehr, zumal ich dann erst aus diesem wilden Flusstal herausfinden muss. In einem der Dörfer auf dem Rückweg gibt es ein hotelähnliches Gebäude. Es wird zwar renoviert, allenthalben liegt abgeklopfter Putz, aber man macht mir ein Zimmer zurecht. Mir bleibt genug Abendsonne für einen Spaziergang, ich schaue beim Ernten mit der Handsichel zu, bewundere die großen Getreidebündel, die hauptsächlich Frauen durch die Gegend schleppen und freue mich an der Aussicht und dem klaren Licht hier oben. Der Enfield hat der Weg ganz schön zugesetzt, sie ölt aus den Stoßdämpfern. Am nächsten Morgen ist sie unwillig, mag nicht recht anspringen, ist ja auch kalt. Das ist eine der Nervenproben in Indien: während man an der Kiste fummelt, wird man unverwandt von einer Gruppe Einheimischer angestarrt, völlig regungslos gucken sie einfach nur, wie sich der Tourist da anstellt.
Als die Mühle läuft, vernichte ich die ganzen schönen Höhenmeter wieder. Ich muss nun eine weite Schleife nach Süden fahren, bis ich nach Shimla komme. Zunächst den Feldweg hinunter, dann mit den üblichen Erdrutschen versehen, die schlängelige Straße aus dem Flusstal hinaus, durch die heiße und staubige Ebene weiter nach Osten, bis es endlich wieder in hügeligeres Gebiet geht, das den Beginn des erneuten Anstiegs in die Berge markiert. Abgesehen von langgezogenen Ortschaften, in den man sich schön an verwirrend markierten Gabelungen verfahren kann, komme ich durch ein Sumpfgebiet mit reichlich Vögeln, später durch einen größeren Wald mit Affenhorden. Dann geht es wieder Serpentinen hinauf. Ist die Straße zunächst noch okay, wenn auch rauh, so wirkt sie bald wie zerhackt und jedes Puzzleteil gibt dir einen Tritt in den ohnehin wunden Hintern. Hier wäre dringender Sanierungsbedarf. Und so sieht es auch die Regierung von Himachal Pradesh, in das ich nun gewechselt bin, die Straße verwandelt sich in eine lange lange Baustelle. Das ist jetzt wirklich eine Höllentour aus zerfahrenen Resten der Straße, Schotter, Staub mit tiefen Fahrrinnen und immer wieder anderen Autos und Lastern, die mir den Dreck um die Ohren wirbeln. Endlos geht es durch die Berge, kein Hotel, kaum mal ein Dorf. Und ich habe seit heute morgen um neun schon einige Kilometer gemacht. Ich schwöre mir, beim allerersten Hotel anzuhalten, das kommt endlich in einem kleinen Kaff, noch ungefähr sechzig Kilomter sind es bis Shimla, am späten Nachmittag. Es wird meine bisher teuerste Übernachtung, immerhin gibt es einen Fernseher, etwas zu Essen bekomme ich aufs Zimmer. Das ist riesig, entsprechend haben eine Menge Mücken Platz darin und abends schaut eine Maus mit mir Kricket. Immerhin gibt es im Ort eine Liquorstore für ein Gutenachtbier.
Ab hier bessert sich die Straße schlagartig. Die Ganster an der Rezeption haben mir erzählt, dass es so mies weitergeht, damit ich ja da bleibe. So ist die Tour nach Shimla am nächsten Morgen ein Genuss. Der Enfield sieht man die Tour an: sie blutet aus sämtlichen Stoßdämpfern, der Staub hängt überall, wird zu Matsche, wo die Dichtungen das Öl ausschwitzen. Die letzten Kilometer nach Shimla hinauf, das schön auf einem Bergkamm hängt, sind ein einziger Stau, auch durch die Straßen in der Stadt wird man vom Hintermann geschoben. Kein Hotel hat ein Zimmer frei. Es ist die beliebteste Hillstation, die alte Sommerhauptstadt der Engländer. Ich bin kurz davor weiterzufahren, hätte ich nicht die Hoffnung, hier einen Ersatz für das kaputte Netzteil finden zu können. Im letzten Hotel erbarmt man sich, ich könnte mir da noch ein Singlezimmer (in Indien gibt es nur Doubles) anschauen. Nun, es ist ein winziges Loch, die Glühbirne steckt in einer Fassung, deren Draht um einen Gaderobenhaken gewickelt ist. Die Enden des Drahtes stecken direkt in der Steckdose. Warmes Wasser? Wir können dir einen Eimer bringen, denn aus der Wand kommt eh nix. Egal, es gibt nicht anderes, ich nehme es.
Shimla selbst erweist sich als ausgesprochen schön, jedenfalls oben auf dem Kamm, der für Verkehr gesperrt ist und auf dem diverse altenglische Kolonialgebäude stehen. Das ist dort alles großzügig angelegt, eine Kirche mit schönen Fenstern und Gedenktafeln für koloniale Gestorbene gibt es, jede Menge Geschäfte und Restaurants. Die erste Stadt in Indien, die eine entspannte Atmosphäre ausstrahlt. Natürlich ist Unabhängigkeit eine großartige Angelegenheit, aber man ist versucht zu sagen, ach, hätten die Engländer mal hier noch fünfzig Jahre weitermachen können, wie nett könnte Indien dann sein. Tatsächlich finde ich hier ein passendes Netzteil (sonst gäbs den Text ja nicht), shoppe sonst noch ein wenig. Schließlich muss ich mit dem Moped nicht so aufs Gepäck achten. Beim Abendessen unterhalte ich mich mit einem hier ansässigen Anwalt, der mir Tips fürs Hinterland gibt. Dann ziehe ich mich in meine Schuhschachtel zurück, ich bin gespannt, wie ich hier schlafen werde.

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