Natürlich kam kein Wakeup call, wie bestellt. Als ich an der Rezeption vorbei komme, gucken sie nur und behaupten, dass sie gerade versuchten, mich anzurufen. Der Bahnhof ist direkt um die Ecke, der Zug gut runtergekühlt, dafür mit exzessiv viel Platz für die Beine. Mit Getute geht es in den diesigen Morgen. Man könnte auf die Idee kommen, die Fahrer hier betätigen die Hupe vor allem um sich selbst wach zu halten, denn jeder Indonesier in egal welchem Gefährt, pennt unweigerlich nach fünf Minuten ein. Mein Nachbar zum Beispiel schnarcht mit weit offenem Mund vor sich hin. Das schöne am Zugfahren im Gegensatz zum Bus ist, dass entlang der Straßen jede Menge hässlicher Gebäude stehen, während man mit dem Zug direkt durch die Reisfelder und an den Hinterhöfen der Leute vorbeifährt. Entfernt im Dunst sieht man die kegelförmigen Silhouetten von Vulkanen. Ich sitze auf der Sonnenseite, die überfluteten Felder glitzern im Gegenlicht, auf der anderen Seite sind die Farben durch die noch tiefe Sonne kräftiger. In den Reisfeldern wird gepflügt, Schlamm geschaufelt, Dämme werden repariert, die frischgrünen jungen Reisschößlinge ausgepflanzt. Oft gibt es Überschwemmungen, Häuser sind mit Sandsäcken geschützt, Schulkinder planschen durchs knietiefe Wasser. Normalerweise müssen sie zur Schuluniform Schuhe und Socken tragen. Ob sie die vorher ausgezogen haben?
Als wir in die Bandung umgebenden Berge kommen, werden die Reisfelder terrassierter, die Häuser stehen dazwischen. In den Bachtälern wachsen Bambus und Bananen. Ganz oben auf den Bergen stehen hohe Telekommunikationsmasten. Die braucht es dort, damit jeder ständig auf sein Handy starren kann. Schulkinder im Bus tippen permanent auf die Minitastaturen statt sich mit der Freundin neben sich zu unterhalten, Facebook ist ganz groß. Dort werden die ganzen Bilder gezeigt, die man ständig von sich mit Irgendetwas und Irgendjemand macht. Kein großer Unterschied zu unserer Kultur.
Die Schienen sind einspurig, an kleinen Bahnhöfen muss auf dem Ausweichgleis auf entgegenkommenden Verkehr gewartet werden. Das Zugpersonal, wie für Java typisch, ist extrem höflich. Während es in anderen Landesteilen oft etwas burschikos polternd zugeht, sind die Javaner so etwas wie die Japaner Südostasiens. Entweder bis zur Unterwürfigkeit höflich oder herablassend arrogant. Standesunterschiede spielen hier eine große Rolle.
Man ist schicker gekleidet, entweder im Businessman Dress oder auch junghip mit verwegenem Haarschnitt. Bei den Frauen gibt es viel mehr Kopftücher und lange Kostüme. Fast jeder trägt Schuhe, kaum jemand FlipFlops.
War Indonesien nun das Asien, nach dem ich gesucht habe? Ja, hier findet man den ganzen, teils überwältigenden, Charme Südostasiens. Menschen, die einem mit einem Lächeln begegnen, egal was ihre Absichten sind, neugierig, geschwätzig, gelassen. Mit einem Improvisationstalent gesegnet, das jedes vernünftig organisierte Vorgehen von vorneherein verhindert, musikalisch, aber hoffnungslos dem Kitsch verfallen. Mit einem so dehnbaren Zeitbegriff, dass man im Gespräch Schwierigkeiten hat, herauszufinden, ob etwas gestern oder vor ein paar Jahren passierte und der einen verzweifeln lässt, wenn man etwas schnell erreichen will. Während in den Städten der business- und konsumorientierte "Lifestyle" um sich greift, gibt es auf dem Land und an den Küsten harte Handarbeit, fallen Ochsenkarren und Rikshaws, klapprige Busse und zusammengeschusterte Essensstände nicht als exotisch auf, sondern gehören zum normalen Bild.
Dazu kommen Landschaften und eine Küche, die einen mit der Zunge schnalzen lassen.
Warum liegt das Land dennoch eher außerhalb des touristischen Fokus, der sich auf das langweilige Thailand konzentriert mit Kambodscha und Laos, die möglichst schnell so werden wollen wie Thailand? Zum Teil könnte das politisch gewollt sein. Indonesien wird von einer kleinen Klasse Reicher vor allem auf Java bestimmt. Für sie lässt sich einfacher die Ausbeutung der so reichlichen natürlichen Resourcen kontrollieren als eine Tourismusindustrie. Ich habe auch gehört, dass es durchaus im Sinne dieser Klasse ist, die Bewohner der weiter von Java entfernten Regionen arm und wenig ausgebildet zu halten. In der Schule werde zum Individualismus erzogen, wenig die Gemeinschaft geschult. Man fürchtet die Sprengkräfte, die mit aufgeklärten und wirtschaftlich erfolgreichen Leuten entstünden, die sich zu einer Oppositionsbewegung vereinen. Zu kritisieren gäbe es genug. So funktioniert nichts an Jakarta und dem großen und korrupten Regierungsapparat vorbei, der mit tausenden Genehmigungen und Kontrollen alles überwacht und lähmt.
Ins Bild passt die komische Visapolitik, die einem kaum Zeit gibt, die entlegeneren Ecken zu bereisen, Schikane und vergleichsweise hohe Abgaben für Ausländer, die hier ein Business betreiben wollen.
Halten die Bombenanschläge von Bali immer noch Touristen von einem Besuch Indonesiens ab? Ich glaube kaum, in London und Madrid gab es jüngere Anschläge und keiner lässt sich von einem Shoppingwochenende dort abhalten. Ist es der Gedanke an das größte muslimische Land, denn alles islamische ist ja im Moment irgendwie diffus äbäh? Es wäre unberechtigt, denn wenn man einen toleranten Islam studieren will, dann in Indonesien. Ja, es gibt radikale Kräfte, es gibt Einfluss aus islamistischen Bewegungen aber sie bilden keine Mehrheit. Es gab vor einigen Tagen Verhaftungen wegen eines geplanten Anschlags auf eine Kirche zu Ostern. Manche vermuten, dass es ein aktionistischer Polizeieinsatz war, um von anderen Problemen abzulenken. Interessant sind jedoch die Reaktionen im Leserforum der Jakarta Post, die diesen durchgehend verurteilen, als Angriff auf die Einheit Indonesiens und als unislamisch, was eingehend mit Koranzitaten belegt wird.
Es gibt nach meinem Gefühl wenig Werbung für Indonesien als Reiseland, genauso wenig wird im Land an Ausländer gedacht, zweisprachige Schilder gibt es fast gar nicht. Natürlich freut es den Traveller, das es hier noch Vieles zu entdecken gibt, dass man, wenn man das so will, wochenlang keiner anderen Langnase begegnen wird, dass man das Land für sich haben kann. Aber eigentlich muss man es jedem empfehlen, der richtiges Asien erleben möchte.
Weiter geht es durch West- und Zentraljava. Wasser gibt es jede Menge, das Grundwasser muss hier nur Zentimeter unter Oberfläche stehen, wie sind sonst diese vielen Teiche und Bäche zu erklären. Vom Wasser in den Reisfeldern ganz abgesehen. Enten planschen in den Teichen oder wandern durch die Reisfelder, es sind die großen braunen scheuen. Ein Mädchen sitzt auf einem kleinen Bäumchen über dem Wasser, bewacht die Enten und schaut dem Zug nach. Die Gegend wird flacher. Zwischen der tropisch überbordenden Vegetation liegen immer mehr große Plantagenflächen mit gleichförmigen Baumreihen. Kommt man durch ein Dorf geht es wieder fröhlich durcheinander: Obstbäume, Mango, Papaja, Bananenstauden, verschiedene Palmenarten bilden ein wucherndes Grün um die kleinen, bunt angemalten, Häuschen. Im Zug gibt es Catering, Nasi Rames, extra zu bezahlen, dafür richtig lecker.
Über einigen Bergen links voraus türmt sich eine dichte dunkelgraue Wolke, unten zerfasert in Regenfällen. Da kommt noch mehr Wasser herunter. Die weißen Reiher auf den Reisfeldern leuchten vor diesem Hintergrund, wenn sie auffliegen. Noch erwischt uns der Regen nicht, aber bisher hat es jeden Nachmittag geschüttet. Um Zwei Uhr sind wir auf der Höhe von Purwokerto, ungefähr zwei Drittel des Weges liegen hinter uns.
Es wird flacher, die Reisfelder wieder großflächiger, in der Ferne ein paar Berge, so wie Kinder Berge malen, runde Bubbel in mehreren Ketten hintereinander. Schnell sind wir in Yogja.
Yogjakarta ist eine richtig große Touristennummer, die Marlboro Road voller Leuchtreklamen und Batikshops, denn für seine Batik ist Yogja berühmt. Und das lustige ist: Auf dieser ganzen großen Shoppingmeile gibt es wahrscheinlich kein handgebatiktes oder auch nur stempelgebatiktes Stück, alles nur Print.
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